Karfreitag - Kreuzkirche Lüneburg

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Karfreitag

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14.04.2017 Karfreitag                     Pastor Skowron

Liebe Gemeinde,
der Karfreitag ist ein schwerer Tag und wir dürfen durchaus dem ersten inneren Impuls nachgeben: Muss ich mir Karfreitag antun? Es gibt so viel Leid in der Welt, das über das Fernsehen oder übers Internet in unsere Wohnungen gespült wird. Und nun gibt es in der Kirche auch noch diese Karwoche mit ihrem Höhepunkt Karfreitag. Muss ich mir das antun?
 
Ein verständlicher erster Impuls, liebe Gemeinde. Besonders als ich Jugendlicher war, habe ich so empfunden wie eben beschrieben: Ich will mir das nicht antun. Insofern, liebe Konfirmanden, findet ihr bei mir Verständnis, wenn ihr sagt: Das ist mir hier zu traurig oder bedrückend. Ich würde mich aber freuen, wenn ihr versucht, euch ein kleines Bild davon zu verschaffen, dass der Karfreitag etwas geben kann. Macht euch heute bitte ein Bild: nicht gleich 10 Megabytes groß, aber vielleicht 100 Kilobytes.
 
Und an uns Erwachsene richte ich ebenso eine Bitte, nämlich dass Sie innerlich nicht aussteigen, sondern danach suchen, was Ihnen Halt und Trost geben könnte in diesem Gottesdienst … gerade angesichts der Tatsache: Es stimmt ja, dass uns zu viele Bilder des Leides durch Fernsehen und Internet überfremden. Und viele von uns haben selbst schon sehr leidvolle Erfahrungen gemacht.
 
Die Weisheitslehrer dieser Welt, ob sie religiös, philosophisch oder psychologisch denken, raten: Der Impuls bringt uns nicht weiter, nur an die schönen Dinge des Lebens zu denken. Einen Frieden im Geist oder Frieden in der Seele kann man nur finden, wenn man auch hinschaut und wahrnimmt, was nicht gut läuft, was traurig ist oder schmerzt.
 
Ein Lehrer mit Namen Andy Puddicombe schreibt in seinem Buch „Mach mal Platz im Kopf“: „... solange wir nicht annehmen können, was ist, so lange werden wir keinen Frieden im Geist finden. … Glück ist einfach nur Glück, … keine große Sache. Es kommt, und es geht. Traurigkeit ist einfach nur Traurigkeit, keine große Sache. Sie kommt, und sie geht. Du wirst einen stillen Geist erfahren, wenn du den Wunsch aufgibst, immer nur angenehme Dinge zu erleben, und wenn du zugleich deine Angst vor unangenehmen Dingen loslässt.[1]
 
Dies wäre also ein erstes Bild, liebe Konfirmanden, eine erste Orientierung, liebe Erwachsene, dass wir die Einsicht zulassen: Man findet keinen Frieden, wenn man nur nach Glück sucht.
 
Diese Einsicht zulassen zu wollen, ist natürlich nicht selbstverständlich. Denn das öffentliche Leben predigt etwas anderes, wenn wir die Werbung auf ihre Inhalte prüfen. Da geht es im Grunde nur darum, wie wir glücklich werden. Und selbst die Werbung von Bestattern lobt den letzten Wegabschnitt von der Bahre, mit der ein Verstorbener abgeholt wird, bis zur Beisetzung als einen perfekten Service für die Angehörigen. Machen wir es uns wirklich bewusst: Wir leben gesellschaftlich in einer Scheinwelt, in der wir nur die angenehmen Gedanken zulassen sollen von Glück und beruflichem Erfolg. Aber hinter dieser Scheinwelt lauert die Angst: Was ist, wenn mir etwas zustößt? …  Also soll ich mich ans Glück und an den Erfolg klammern. Als könnte ich damit das Leben beschwören und einen magischen Schutz herbeizaubern, dass mir nichts zustößt.
 
Eigentlich kann man mit solch einer Einstellung nicht leben. Gesund ist es jedenfalls nicht, so zu leben. Aber man kann damit wohl irgendwie überleben, wenn man be-wusst oder unbewusst immer Energie aufwendet, nicht hinzuschauen und das Altern nicht wahrzunehmen oder ernste Krankheiten auszublenden, Mitgefühl in sich abzuschneiden mit denjenigen jungen Menschen, die hier in unserem Land nur befristete Jobs finden oder die in Afrika verhungern.
 
Gegen dieses Nicht-Hinschauen und Nicht-Mitfühlen halten wir aber unsere erste Orientierung fest, unser erstes Bild mit Andy Puddicombe: „Du wirst einen stillen Geist erfahren, wenn du den Wunsch aufgibst, immer nur angenehme Dinge zu erleben, und wenn du zugleich deine Angst vor unangenehmen Dingen loslässt.“ Die Karwoche ist wie geschaffen dafür, dass wir uns gegen unsere gesellschaftliche Scheinwelt bewusst machen: Schmerz, Leid, Krankheit und Tod blendet man besser nicht aus, sondern stellt sich ihnen. Nicht an der Angst vorbei, sondern durch die Angst hindurch.
 
Das zweite Bild ist, liebe Konfirmanden, die zweite Orientierung ist, liebe Erwachse-ne, dass das Antlitz des Gekreuzigten uns zuspricht … uns zuspricht durch die vielen Jahrhunderte seit seiner Kreuzigung: Stell dir vor, ich wäre damals irgendwohin geflohen … nach Syrien … oder Indien … . Dann müsstest du jetzt glauben: Gott hält sich heraus, wenn es eng wird; wenn sich Leid zeigt; wenn der Tod naht. Nun aber glaube und vertraue darauf, dass Gott mitten im Schweren und Leidvollen, auch im Scheitern oder Versagen, an deiner Seite ist. Und schau, ob dir dieses Vertrauen hilft. Ob es dich trägt und tröstet in deiner Angst und Pein.
 
Ich kenne einige Menschen, liebe Gemeinde, die sehr leidvolle Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben und von sich sagen: Wenn ich nicht gespürt hätte, dass Gott unter mir ist, um mich zu tragen, wenn ich nicht gefühlt hätte, dass er vor mir ist, um mir wieder Zukunft zu eröffnen, dann hätte meine Not mich zum Verzagen und Ver-zweifeln gebracht. So aber lebe ich heute mit meinem Schmerz viel bewusster, als ich es vorher getan habe.
 
Das dritte Bild ist, liebe Konfirmanden, die dritte Orientierung ist, liebe Erwachsene, … es ist eine Mischung aus den beiden Bildern und Eindrücken, die wir gerade eben gewonnen haben. Der Karfreitag stärkt uns, einseitige Glücksvorstellungen loszu-lassen, das eigene Scheitern Gott hinzuhalten und nach vorn zu schauen. Anton Rotzetter beschreibt es so: „Konflikte nicht fliehen, sondern dabei sein, geduldig und mit aller Kraft; das Kreuz der Welt anschauen und aufnehmen; mich nicht betrügen mit einer „heilen Welt“, sondern mich in das Leiden der Schöpfung mischen; unter dem Kreuz bleiben, es erleiden und wandeln zum Leben; mich am Aufstand beteili-gen, den Jesus gegen den Tod angezettelt hat; damit Ostern wird für mich und dich und alle.“
 
Unter dem Kreuz bleiben, aber gleichzeitig an den Aufstand glauben, den Jesus gegen den Tod angezettelt hat, das beginnt doch damit: Wenn einer Schmerzen hat und jemand sieht hin, wenn einer in Not ist und jemand hilft, dann verringert sich das Leid in der Seele und die Last wiegt nicht so schwer. Es heißt in einem modernen Gedicht:
Gib dem Leidenden ein Gesicht,
indem du nicht wegschaust.
Schenke jemandem in Not eine Würde,
indem du dich an seine Seite stellst.
 
So beteiligen wir uns an Jesu Aufstand, den er gegen die Verzweiflung und den Tod angezettelt hat. Gerade dabei können wir Gottes Nähe erfahren. In dem modernen Gedicht heißt es weiter:
Wenn wir das Antlitz des Christus am Kreuz sehen,
dann entdecken wir: Du, Gott, bist nicht weit weg.
Du leidest mit uns und hältst mit uns aus.
Jedes Wort, mit dem wir dir unser Leid beschreiben,
kann durch dich in unser Herz zurückfallen
als Trost oder Hoffnung.
 
Trost und Hoffnung brauchen wir, um den Aufstand gegen den Tod weiter zu verbreiten.
 
Ich komme zurück auf unseren Ausgangspunkt, liebe Gemeinde. Ich hatte gefragt: Muss ich mir diese Karwoche antun mit ihrem Höhepunkt Karfreitag? Jetzt mögen wir vielleicht dankbar sagen: Wie gut, dass es Zeiten im Kirchenjahr und Kirchen-räume als Orte gibt, die nicht eine Scheinwelt des Glückes und Erfolges bieten. Das Leben ist zu kurz, um die unangenehmen Dinge mit allen seelischen Kräften zu verleugnen. Wie wohltuend ist es dagegen, sein zu können wie man ist. Auch mit allem Scheitern und allem Leid. Wir wollen uns nicht betrügen mit einer „heilen Welt“, sondern uns in das Leiden der Schöpfung mischen; unter dem Kreuz bleiben, Mitgefühl zeigen und uns am Aufstand beteiligen, den Jesus gegen den Tod angezettelt hat. Amen
 
 


[1]    Andy Puddicombe: Mach mal Platz im Kopf. S. 75.
 
 
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