30.04.17, Misericordias Domini, Konfirmation Pastor Skowron
Die Ärzte - Deine
Schuld (Predigtlied)
Hast Du
Dich heute schon geärgert, war es heute wieder schlimm? Hast Du Dich wieder
gefragt, warum kein Mensch was unternimmt? Du
musst nicht akzeptieren, was Dir überhaupt nicht passt.
Wenn Du
Deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast, ohoho.
Es ist
nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es war nur Deine Schuld,
wenn sie so bleibt.
Glaub
keinem, der Dir sagt, dass Du nichts verändern kannst. Die, die das behaupten, haben nur vor
der Veränderung Angst. Es sind dieselben, die erklären, es sei gut so, wie es
ist.
Und wenn
Du etwas ändern willst, dann bist Du automatisch Terrorist.
Es ist
nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.
Weil
jeder, der die Welt nicht ändern will, ihr Todesurteil unterschreibt.
"Lass
uns diskutieren, denn in unserem schönen Land, sind zumindest theoretisch alle
furchtbar tolerant.
Worte
wollen nichts bewegen, Worte tun niemandem weh. Darum lass uns drüber reden.
Diskussionen sind ok."
Nein -
geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren. Denn wer nicht
mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlieren!
Die Dich
verarschen, die hast Du selbst gewählt.
Darum
lass sie Deine Stimme hören, weil jede Stimme zählt, ohoho.
Es ist
nicht Deine Schuld...
Liebe
Gemeinde, und heute natürlich besonders: liebe Konfirmandinnen und
Konfirmanden,
jede und
jeder von euch hat die Energie, die Ausdauer und den Einsatz aufgebracht, den
Unterricht im Konfir mitzumachen. Ich wollte euch heute Morgen sagen: Das ist
eine große und reife Leistung, auf die ihr stolz sein dürft. Durchzuhalten ist
heutzutage ja nicht einfach bei allem, was von euch in der Schule gefordert
wird. Spätnachmittags von halb fünf bis halb sechs zu diskutieren und dabei
konzentriert zu bleiben, das ist eine Herausforderung gewesen. Ich finde, die
habt ihr wirklich gut gemeistert. Das ist – ich sag es noch mal – eine reife
Leistung!
Das
Adjektiv „reif“ ist heute besonders wichtig: Es geht um Reifung bei der
Konfirmation. Ihr seid reif genug, um für euch und euer zukünftiges Leben zu
entscheiden, wie ihr es ausrichten wollt. Ob einer sagt: Gott spielt in meinem
Leben eine Rolle oder ob einer sagt, das tut ER nicht. Da habt ihr euch ja auch
unterschiedlich entschieden. Dazu später mehr. Jetzt – in diesem Moment – ist
der Gedanke wichtig: Ihr habt euren Konfir engagiert mitgemacht, das ist eine
reife Leistung, und darum wollen wir feiern. Auch eure Reife feiern.
Die zeigt
sich ja auch ganz äußerlich in dem enormen Wachstumsschub des letzten halben
Jahres. Wer euch von der Statur wahrnimmt, hat sofort den Eindruck: Keiner von
euch trägt mehr Kinderschuhe. Ihr habt mittlerweile den Status inne einer
Jugendlichen, eines Jugendlichen. Das springt einem richtig ins Auge. Ihr Jungs
habt eure Stimmlage verändert mit dem Durchschreiten des Stimmbruches und Ihr
Mädchen überragt schon ein bisschen eure Omas. Daran wird äußerlich deutlich:
Ihr seid jetzt keine Kinder mehr, ihr seid Jugendliche. Das wird natürlich auch
durch euer kritisches Denken und durch euren Modegeschmack dokumentiert. Und
heute nun ist der Tag, an dem wir innehalten und würdigen: Ihr seid jetzt
richtige Jugendliche. Das schließen wir in die Konfirmationsfeier fröhlich mit
ein.
Wobei die
Fröhlichkeit – zumindest für einen Moment – ein wenig getrübt wird. Nicht bei
euch, sondern bei uns, den Erwachsenen, vornehmlich bei eurer Mutter und eurem
Vater, auch bei euren Omas und Opas, und genauso bei euren Paten, die eure
Entwicklung ja begleitet haben. Ich kann mir vorstellen, dass sie heute
innerlich sprechen: Es war doch erst vorgestern, als ich meinem Patenkind einen
Strampler gekauft habe. Oder dass ich als Opa die Kinderkarre meiner Enkelin
geschoben habe. Oder dass ich als Vater bzw. Mutter mein Kind im Kindergarten
angemeldet habe. Wie schnell die Zeit doch vergangen ist. Wie im Fluge … und
das stimmt schon ein bisschen wehmütig. Aber das soll euch jetzt nicht betrüben, diese Wehmut machen wir
Erwachsenen mit uns selbst aus.
Ihr dürft
uneingeschränkt fröhlich sein, dass ihr den Jugendlichenstatus wirklich inne
habt. Und dass ihr schon viel im Leben geschafft habt bis zu diesem Tag. Man
kann bereits von Lebensstationen sprechen, die hinter euch liegen: Säugling zu
sein (brauchen wir jetzt nicht zu vertiefen), eure Kleinkindphase, dann
Kindergarten, Grundschule, Eintritt in einen weiterführenden Schultyp,
eindreiviertel Jahre Konfirmandenunterricht, den ihr mit dem schönen
Vorstellungsgottesdienst gekrönt haben. Und ihr sehnt euch herbei, dass ihr nun
schnell auch andere Lebensstationen oder Lebenszäsuren erreicht wie etwa 17 zu
werden und den Führerschein zu machen. Das Leben soll vorangehen, die Zukunft
soll schnell das Heute werden. Das ist euer Grundempfinden. Und darum möchte ich
mit euch und euren Konfirmationsgästen die Zukunft jetzt in den Blick nehmen.
Ich tue dies, indem ich auf das Lied unseres Chores „Neue Töne“ eingehe (Text:
s.o. Die Ärzte) und es für euch und auch ein bisschen für uns auslege. Es
enthält zwei Kernsätze, die für euer Leben und eure Zukunft sehr wichtig sind.
Ich glaube, diese beiden Kernsätze entsprechen auch dem, was Jesus uns gelehrt
hat.
Der erste
Satz lautet: Glaub keinem, der
Dir sagt, dass Du nichts verändern kannst. Ihr habt zunächst mal euch
selbst ein bisschen verändert, als ihr das Krippenspiel eingeübt habt vor
anderthalb Jahren. Sich frei im Altarraum bewegen, in eine Rolle schlüpfen und
dann aus sich herausgehen, sich hinstellen, laut und deutlich die Stimme erheben.
Das hat euch einen Schritt – oder sogar mehrere Schritte – weiter gebracht in
dem Gefühl: Ich kann 'was. Ich kann auch öffentlich einen Standpunkt einnehmen.
Es waren zwar vorgeprägte Worte im Krippenspiel. Aber wenn man diese Vorstufe,
etwas öffentlich zu sagen, genommen hat, dann ist es nicht mehr schwer, auch
mit eigenen Worten mal in Gegenwart anderer Stellung zu beziehen. Darauf wird
es in eurem Leben ankommen. Andere Menschen möchten hören: Wer seid ihr? Wer
seid ihr privat als junge Menschen und wer seid ihr, wenn ihr eine Ausbildung
beginnt? Niemand wird jemanden einstellen, der oder die wie ein Schluck Wasser
in der Ecke hängt. Ein Chef oder eine Chefin will euer Standing wahrnehmen können. Und genau das – es
ist immer ein Übungsweg – …. genau das habt ihr trainiert: euer Standing. Im Konfir haben wir
das Standing z.B. mit dem Lesen des
Lukasevangeliums auch inhaltlich gefüllt. Jesus hatte ein bewundernswertes Standing: ganz präsent,
gegenwärtig im Moment, in sich zentriert, anderen Menschen hingebungsvoll und
ehrlich zugewandt; mutig hat er seine Meinung geäußert und hat auch den Alternative-Facts-Erzählern mit
ihren irren Halbwahrheiten und Lügen widersprochen. Das waren damals
Schriftgelehrte und eifrige Fromme, genannt Pharisäer, die in ihrer eigenen
Welt lebten, von der nur sie profitierten. Solche Leute, die in ihrer eigenen
Welt leben, von der nur sie selbst profitieren, haben wir ja mittlerweile
zuhauf in unserer Gesellschaft. Glaubt
daran, dass ihr etwas verändern könnt. Das ist unser erster Kernsatz aus
dem Lied der Ärzte, das unser Chor gesungen hat. Glaubt an Gerechtigkeit und
Menschlichkeit, setzt euch dafür ein. So wie Jesus es getan hat. Bertholt
Brecht schrieb: „… wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Anders
formuliert: Wer sich nicht für eine gute Sache einsetzt, hat schon aufgegeben.
Wer sich nur um seine Wohnung und den Rasen vor dem Haus kümmert, hat keine
Erfüllung mehr im Leben. In dem breitet sich eine große Leere aus … . Meine
Bitte ist: Nehmt aus dem Konfir auch den Glauben mit, dass ihr etwas verändern
könnt. Nutzt euer Standing dafür.
Greifen wir
jetzt noch den zweiten Kernsatz auf: Es
ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur Deine
Schuld, wenn sie so bleibt. Ihr
habt es ja mitgekriegt aufgrund des Reformationsjubiläums, das wir in diesem
Jahr feiern: Wer will, dass alles so bleibt, wie es ist, der will nicht
wirklich, dass es bleibt. Man muss Dinge verändern und voranbringen, ohne sich
dabei zeit- und kräftemäßig zu übernehmen. Wir haben hier in der Gemeinde das
Ursymbol des predigenden Luthertums aufgegeben: Wir haben unsere Kanzel
abgebaut. Ihr kennt sie schon gar nicht mehr. Hier oben - neben mir - stand ein
hoher, mächtiger, brauner Holzkasten. Er war wie ein Bollwerk. Aber Jesus hat
nichts mit einem Bollwerk gemeinsam. Doch überall in ev. Kirchen gibt es
Kanzeln. Ganz selbstverständlich. Wir haben hier die Selbstverständlichkeit in
Frage gestellt. Wir sind über unseren eigenen Schatten gesprungen. Um der
Menschen am Bockelsberg willen. Sie sollen hier Predigten auf Augenhöhe hören,
nicht von oben herab. Man muss also Dinge verändern, um das, was wirklich
zählt, zu erhalten! Wer will, dass alles so bleibt, wie es ist, der will nicht
wirklich, dass es bleibt. Nehmt diese Einsicht in eure Zukunft mit! Und
verbindet sie mit der tiefsten Erkenntnis, die Veränderung möglich macht:
Springt zuerst über euren eigenen Schatten, bevor ihr fordert, dass andere sich
bessern sollen. Damit geht mutig voran, sodass unsere Welt nicht so bleibt, wie
sie ist.