Ostern - Kreuzkirche Lüneburg

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Ostern

Gottesdienst > Predigt
 16.04.17 , Ostersonntag         Pastor Skowon

Liebe Gemeinde,
der Glaube, dass nach dem Tod noch etwas kommt, ist eigentlich 'unglaublich': Unglaublich schön und doch kaum zu glauben. Und wenn man an den Kreuzestod Jesu denkt, wenn man sich vorstellt, dass er durch den Tod hindurchgegangen sein soll und danach die Herzen der Jünger bewegt hat, das Evangelium in die ganze Welt zu tragen, dann kann man das als wunderbar bezeichnen und doch nicht zu fassen. Hin- und hergerissen sind viele Menschen; vielleicht auch wir selbst.
 
Wolf Biermann, von dem gesagt wird, er glaube nicht an Gott, bringt diesen Zwiespalt auf den Punkt. „Auf die Frage, welcher biblische Stoff ihm am meisten am Herzen liegt, antwortet(e er)...: 'Das Beste an der Bibel finde ich die Auferstehung Jesu … Der Teil der Leidensgeschichte also, der offensichtlich gelogen ist. Der enthält für mich die tiefste Wahrheit.'“ Und einem Pfarrer schrieb Biermann einmal ins Stammbuch: „Wer die Auferstehung preisgibt, der ist von Gott und allen guten Geistern verlassen.“[1] Ich habe nichts lesen können darüber, warum Biermann meint, die Auferstehungsgeschichte enthalte für ihn die tiefste Wahrheit, obwohl er nicht daran glaubt.
 
Aber vielleicht können wir uns heute Morgen auf die Suche begeben, warum die Auferstehung für uns die „tiefste Wahrheit“ enthalten könnte. Wir müssen dabei einräumen, dass wir nichts Objektives entdecken werden; keine Fakten; nichts, was etwas beweist. Denn keiner von uns kann „hinüberschauen“ auf die andere Seite. Es ist, wie wenn wir durch ein Fenster sehen wollen, vor dem eine Jalousie aufgehängt ist. Und die Lamellen sind heruntergelassen. Je nach Stellung der Lamellen, ob ganz geschlossen oder mit einer Schrägstellung, können wir nichts oder ein bisschen erkennen.


[1]    Willi Hoffsümmer: Ostern erzählen. S. 108
In diesem Bild von Marita Richter sehe ich eine Jalousie. Es ist nur eine Teilansicht des Bildes, das ich gleich noch ganz zeigen werde. Obwohl diese Jalousie recht durchsichtig ist, können wir nicht mit Sicherheit sagen, was sich dahinter befindet: ein Fluss, ein tiefblauer Himmel, schwarze Gestalten, die laufen? Klar ist nur: Da ist etwas auf der anderen Seite, hinter der Jalousie; da ist nicht Nichts.
 
Der amerikanische Politiker Benjamin Franklin – er starb 1790 – hat darauf vertraut, dass da nicht Nichts ist. In seiner Jugend hatte er den Beruf des Buchdruckers gelernt und bestimmte folgende Inschrift für seinen Grabstein: „Hier liegt der Leib Benjamin Franklins, eines Buchdruckers, gleich dem Deckel eines alten Buches, aus dem der Inhalt herausgenommen (ist)....; doch wird das Werk selber nicht verloren sein, sondern[1] … einst erscheinen in einer neuen, schöneren Ausgabe, durchgesehen und verbessert von dem Verfasser!“[2]

Benjamin Franklins tiefste Wahrheit, auf die er sich so sehr verließ, dass er daraus eine Inschrift für seinen Grabstein machte, war das Bild: Auferstehung ist wie die 2. neu durchgesehene, verbesserte Auflage eines Buches. Sein Blick durch die Jalousie war durch sein Leben mitbestimmt, dass er in der Welt des Buchdruckes groß geworden war. Und so sind auch unsere Blicke durch die Jalousie durch unser Leben mitbestimmt.  Biermann hat etwas gesehen, aber aufgrund seines Lebensverlaufes geschlussfolgert: Auferstehung ist offensichtlich gelogen, obwohl es das wichtigste Bild der Bibel ist. Was sehen wir aufgrund unseres Lebensverlaufes?


[1]             Ergänze, wie er glaubt,
[2]    Ebd. S. 129
Man könnte ja als Frisörin sagen (und ich meine dies nicht als Scherz, auch wenn Sie gleich schmunzeln): Auferstehung ist wie ein neuer bezaubernder Haarschnitt, der in sechs Wochen nicht mehr nachgeschnitten werden muss. Trauen wir uns, so etwas zu sagen. Schämen wir uns nicht, Vergleiche anzustellen. Mehr als Vergleiche haben wir nicht mit dem Blick durch die Jalousie. Man könnte als Hebamme sagen: Auferstehung ist wie eine zweite Geburt. Die erste Geburt ist die Erfahrung: In der wohligen Geborgenheit im Mutterbauch wird es zu eng. Darum nimmt das Kind die Wehen als Chance, hinausgepresst zu werden in eine offene Welt. Die zweite Geburt ist vielleicht ein Hinübergehen aus einer unvollkommenen, zerstrittenen Welt hinein in tiefe Liebe und wärmendes Licht der Gottesgegenwart. Zweite Geburt. Trauen wir uns, so etwas zu sagen. Mehr als Vergleiche haben wir nicht mit dem Blick durch die Jalousie.
Oder haben wir doch ab und an einen freien Blick?
Marita Richters Bild scheint dies anzudeuten, wenn man nicht nur einen Teilausschnitt betrachtet. Hier ist das Bild ganz: der freie Blick und der durch eine Jalousie. Der Blick durch die Jalousie nimmt mehr Raum ein: zwei Drittel zu einem Drittel in etwa. Dies meint in Beziehung auf die Osterthematik: Der Blick durch die Jalousie bleibt dominant, aber es gibt offenbar hier und da freie Sicht. Worin könnte die freie Sicht bestehen?
 
Ich glaube, die freie Sicht tut sich uns auf, wenn wir Erfahrungen machen, die Jesu Leben gleichen. Lassen Sie mich ein paar Beispiele erzählen.
 
Das Wunder der Brotvermehrung: Jesus schaut auf die vorhandenen Brote, aber sagt zu seinen Jüngern: Gebt ihr ihnen zu essen, also den vielen, vielen Hörern seiner Predigt. Und alle werden satt. Haben Sie es schon mal erlebt, dass ein Mensch oder mehrere satt werden durch das, was sie sagten oder taten? Etwa so? Die große Tochter sagt zum alten Vater: Danke, dass ich mit dir über alles reden kann. Ich weiß jetzt, was ich tun muss. Eine ist satt geworden.
 
Eine Fußball-Jugendmannschaft sagt in der Umkleide zum Trainer: Wenn wir Sie nicht gehabt hätten, dann wären wir heute nicht eine geschlossene Mannschaft, wo einer für den anderen mitdenkt und mitläuft. Viele sind satt geworden.
Bergen solche Erfahrungen, die dem Leben Jesu gleichen, nicht die Seelenwahrheit des Christus? Des Christus, der mit seiner Auferstehung bewahrheitete: Alles, was ich euch gesagt und versprochen habe, tritt ein. Meine Auferstehung gibt eine freie Sicht auf mein Leben und beglaubigt es. Und wenn wir erfahren, dass eintritt, was er versprochen hat, erhalten wir dann nicht für einen Moment den freien Blick auf das Reich Gottes, das nicht nur in dieser Welt ist, sondern auch die danach umfasst?
 
Jesus heilt einen Blinden und es kommt Leben ins Leben des Blinden. Ein Augenarzt operiert den grauen Star einer älteren Dame, die nur noch mit einer sehr starken Brille ein bisschen lesen kann. Nach der OP braucht sie keine Brille mehr. Und mit Freude liest sie wieder ihre Tageszeitung, geht mit einem sicheren Gefühl wieder spazieren und nimmt wieder an Theateraufführungen ihrer Laienspielgruppe teil. Eine kann wieder sehen. Leben ist ins Leben gekommen.
 
Ein Mann in der Midlifecrisis spürt seine Unruhe und bürdet sich als Selbstheilung hartes Training auf. Er beginnt für einen Halbmarathon zu trainieren, obwohl er seit Jahren keinen Sport mehr betrieben hat. Er übernimmt sich. Hat mit Kreislaufproblemen und Erschöpfung zu kämpfen. Er muss ins Krankenhaus. Dort spricht er mit einer Diakonin, die Krankenhausseelsorgerin ist. Mit ihrer Hilfe entdeckt er, dass hinter seinem überzogenen Sporttraining die Angst vor dem Älterwerden steht. Sie sprechen über seine Trauer, dass schon so viel hinter ihm liegt. Sie fragt ihn nach seinen Erwartungen an das Leben. Er kann nicht gleich antworten, aber will seine Erwartungen klären, wenn er das Krankenhaus verlassen darf. Einer beginnt wieder zu sehen.
 
Solche Erfahrungen, die dem Leben Jesu gleichen, bergen die Seelenwahrheit des Christus, der mit seiner Auferstehung beglaubigte: Alles, was ich euch gesagt und versprochen habe, tritt ein. Wenn wir erfahren, dass eintritt, was er versprochen hat, dann erhalten wir für einen Moment den freien Blick auf das Reich Gottes, das nicht nur in dieser Welt ist, sondern auch die danach umfasst.
 
Liebe Gemeinde, wenn wir so auf unsere Lebensgeschichte zurückschauen und gewahren, dass durch uns und mit uns passiert, was Christus selbst gelebt und versprochen hat, können wir dann nicht sagen:
'Das Beste an der Bibel finde ich die Auferstehung Jesu … Das Ende der Leidensgeschichte also, das offensichtlich nicht gelogen ist. Es enthält für mich die tiefste Wahrheit' ?!
Amen
 
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